Justizminister Jörg-Uwe Hahn stellt Sicherungsverwahrung für hochgefährliche Straftäter in Weiterstadt vor

In der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt stellte der Minister der Justiz, für Integration und Europa und stellvertretende Ministerpräsident, Jörg-Uwe Hahn, am Freitag die Räumlichkeiten der Sicherungsverwahrung vor. Sie sind Teil des Gesamtkonzepts. Grundsätzlich sei die Sicherungsverwahrung am Standort Schwalmstadt geplant. Dort werde seit Februar das Gebäude E der JVA für die Unterbringung von 60 Sicherungsverwahrten umgebaut. Während der Bauzeit seien derzeit 35 Sicherungsverwahrte vorübergehend in einer neu gegründeten Zweiganstalt der JVA Schwalmstadt auf dem Gelände der JVA Weiterstadt (bei Darmstadt) untergebracht. Sie sollen Anfang nächsten Jahres nach Schwalmstadt umziehen.

Die Neuordnung der Sicherungsverwahrung war nötig geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht den Bundesländern aufgegeben hatte, die Sicherungsverwahrung neu zu regeln. Die dafür eingeräumte Übergangsfrist läuft zum Ende dieses Monats ab. Justizminister Jörg-Uwe Hahn betonte:

Wir erfüllen bereits seit Beginn dieses Jahres alle Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an die Sicherungsverwahrung gestellt hat.

Hier in Weiterstadt habe man auf drei Stationen eines Gebäudes jeweils zwölf Zimmer für die Unterbringung der männlichen Sicherungsverwahrten bereitgestellt. Zwei weitere große Zellen seien  im 2. Obergeschoss vorhanden. Insgesamt stehen, so Justizminister Hahn, für die Unterbringung der Sicherungsverwahrten somit 38 Plätze zur Verfügung, die durch  die Zuordnung von zwei früheren Hafträumen mit zusammen 22 Quadratmetern für einen Sicherungsverwahrten die gesetzlich vorgesehenen 18 Quadratmetern Fläche einschließlich Nassbereich überschreiten. Die Stationen verfügten zudem über Gemeinschaftsküchen und Aufenthaltsräume. Der Besuchsbereich wurde entsprechend den Anforderungen erweiterter Außenkontakte der SVer umgestaltet; die Sportstätten der JVA Weiterstadt können mitgenutzt werden, um die innerhalb der Abteilung vorhandenen Möglichkeiten zur Gymnastik und zu Ausdauersport hinsichtlich des Sportangebots zu erweitern.

„Der Sicherungsverwahrte kann seine beiden Räume wohnlich gestalten“, berichtet Justizminister Jörg-Uwe Hahn: „Die Grundausstattung des Zimmerinventars wird gestellt. Besondere Wünsche werden nach Prüfung im Einzelfall genehmigt. Die Wände der Stationen und die Zimmer der SVer sollen im Rahmen eines Projekts farblich gestaltet werden. Die SVer können eigene Kleidung tragen.“ Aufschluss sei täglich von sechs bis 21.30 Uhr, wochenends von acht bis 21.30 Uhr. Die Sicherungsverwahrten haben, so Hahn, die Möglichkeit sich täglich ab 9.00 Uhr bis zum Einbruch der Dunkelheit, bis 21.30 Uhr, im Freien aufzuhalten. In der JVA Weiterstadt stehen drei Besuchsräume zur Verfügung. Die Männer dürfen mindestens zehn Stunden monatlich Besuch empfangen.  

Die Sicherungsverwahrten können pro Monat je ein Paket mit Nahrungs- und Genussmitteln (je fünf Kilogramm) empfangen. Ab dem 1. Juni sollen geeignete Sicherungsverwahrte die Möglichkeit bekommen, sich selbst zu verpflegen, berichtet Justizminister Jörg-Uwe Hahn.

Justizminister Jörg-Uwe Hahn betonte, dass er aus fachlichen Gründen gerne an der Arbeitspflicht festgehalten hätte. Der beste Schritt zu einer erfolgreichen Wiedereingliederung sei ohne Zweifel ein durch Arbeit strukturierter, geregelter Tagesablauf. „Das geht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für Sicherungsverwahrte, die einen mit Strafgefangenen nicht vergleichbaren besonderen Status haben, nicht mehr. Wir müssen sie dazu motivieren, verpflichten können wir sie nicht.“ Diese Position werde  nachdrücklich bestätigt durch eine erste Entscheidung eines hessischen Gerichts aus dem Januar 2013.

„Die Sicherungsverwahrten haben in der JVA Weiterstadt ausreichende Möglichkeiten zum Arbeitseinsatz. Es wurden zwei Arbeitsbetriebe mit bis zu 16 Arbeitsplätzen aus Schwalmstadt nach Weiterstadt vorübergehend umgesiedelt.“ Zusätzlich gebe es Arbeitsmöglichkeiten als Hausarbeiter, in der Küche sowie in der Arbeitstherapie. Der Verdienst unterscheidet sich in den einzelnen Vergütungsstufen. In Vergütungsstufe I beträgt der Tagessatz nach dem neuen hessischen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz 15,52 Euro täglich; die Entlohnung in der Arbeitstherapie beträgt 75 Prozent davon.

In Weiterstadt stehen 38,5 Stellen, die mit Schwalmstädter Mitarbeitern besetzt sind, zur Betreuung und Behandlung der maximal 38 Sicherungsverwahrten zur Verfügung. „Hierdurch können wir bereits in der Interimsphase eine umfassende Behandlung und Betreuung der Untergebrachten sicherstellen, die in vollem Umfang den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts und des Hessischen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzes entsprechen. Die Einrichtung in Weiterstadt wird den therapeutischen Erfordernissen einer verfassungskonformen Sicherungsverwahrung gerecht und wird auch erweiterte Besuchsmöglichkeiten zur Aufrechterhaltung familiärer und sozialer Kontakte bereithalten“, so Justizminister Jörg-Uwe Hahn.  Ein großer eigener Freibereich, eine Küche in der Wohngruppe, Wohnzimmer bzw. Gruppenräume, Therapie-, Sozial- und Büroräume für Fachdienste sind ebenfalls vorhanden.

Experten  aus Schwalmstadt

Justizminister Jörg-Uwe Hahn dankte den Mitarbeitern der JVA Schwalmstadt, die hervorragend ausgebildet seien und langjährige Erfahrung im Umgang mit Sicherungsverwahrten haben. „Dieses Potenzial wollen wir mit unseren Thüringer Nachbarn teilen. Diese Lösung spart Kosten auf beiden Seiten. Sie erfolgt wesentlich auch zugunsten der Steuerzahler.“ Minister Hahn würdigte das Engagement der Mitarbeiter, die quasi mit nach Weiterstadt umgezogen seien, um hier ihre Kandidaten zu begleiten. Diese Mitarbeiter seien ein eingespieltes Team, das über hohe Sachkunde und Gespür auch für schwierige Situationen verfüge. Sie betreten nach der Neuorganisation der Sicherungsverwahrung ebenfalls eine Art Neuland.  Die Mitarbeiter betrachten dies als Herausforderung. Der Minister betonte ausdrücklich: „Ich danke Ihnen im Namen des Landes Hessen für Ihre hervorragende Arbeit und Ihren Einsatz.“

Staatsvertrag mit Thüringen

Justizminister Jörg-Uwe Hahn verwies auf die Kooperation mit dem Nachbarland Thüringen, die durch Staatsvertrag auf 30 Jahre geschlossen worden sei. Demnach stehe   dem Freistaat Thüringen  in Schwalmstadt nach der Fertigstellung ein Kontingent von 15 Plätzen zur Verfügung gestellt. Entsprechend diesem Kontingent werde Thüringen ein Viertel der Kosten tragen. Das gelte für die Umbaukosten in Höhe von rund 12 Millionen Euro, die Kosten der Einrichtung und Ausstattung des Gebäudes in Höhe von einer Million Euro, der Ausbildung der zusätzlich eingestellten Bediensteten in Höhe von 1,6 Millionen Euro und des laufenden Betriebs in Höhe von voraussichtlich 5,4 Millionen Euro jährlich. Von all diesen Kosten trage Thüringen jeweils ein Viertel. Minister Hahn: „Derzeit sind in Weiterstadt bereits fünf Sicherungsverwahrte aus Thüringen untergebracht.“

Hintergrund

„Von der Sicherungsverwahrung betroffen sind Straftäter, die ihre Strafe verbüßt haben, aber dennoch als so gefährlich eingestuft werden, dass ihre Freilassung nicht verantwortbar erscheint“, so der Justizminister.  Die Sicherungsverwahrung komme einer vorbeugenden Haft auf möglicherweise drohende Verbrechen gleich.  „Aber oberstes Gebot ist für mich die Sicherheit der Menschen“, so  Hahn: „Der Staat hat die Pflicht, seine Bürger vor Tätern, die als hochgefährlich erkannt werden, zu schützen. Das ist das Ziel der Sicherungsverwahrung, die wir verwirklichen nach den Regeln, die das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat.“ 

Hahn erinnerte an die Urteile des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Sicherungsverwahrung nur noch ein letztes Mittel sei. Sie sei auch nur dann zulässig, wenn sie auf die Therapie des Probanden ausgerichtet sei. Die Forderung „wegsperren und zwar für immer“ sei populistisch – und unrealistisch. Sie entspreche nicht der Menschenwürde, die jedem Menschen zustehe, gleich welche Tat der Verurteilung zu Grunde liegt. Wiederum das Bundesverfassungsgericht habe geurteilt, dass jedem Täter ein Stück Hoffnung verbleiben müsse, irgendwann noch einmal in die Freiheit zurückkehren zu können.

Am Stichtag 9. Mai 2013 befanden sich im Justizvollzug in Hessen 51 Sicherungsverwahrte; 49 Männer, 2 Frauen.

Von den 49 männlichen Sicherungsverwahrten sind zum Stichtag

  • 35 SVer sind in der JVA Schwalmstadt – Zweiganstalt Weiterstadt untergebracht. Einer davon  ist derzeit im ZKH Kassel I. Fünf davon kommen aus Thüringen.  
  • 2 SVer sind in der JVA Schwalmstadt – Abteilung Kornhaus untergebracht;
  • 11 SVer befinden sich in der Sozialtherapeuthischen Anstalt Kassel II

Für die weiblichen Sicherungsverwahrten wurde eine eigene abgetrennte Station in der Frauenvollzugsanstalt JVA Frankfurt am Main III mit fünf Plätzen den Erfordernissen der SV entsprechend umgebaut. Von den fünf Plätzen sind derzeit zwei belegt.

Seit 2010 wurden aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bzw. aufgrund der neu entwickelten Grundsätze aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und der Obergerichte ca. 25 Sicherungsverwahrte entlassen, davon 7 Altfälle nach dem EGMR.

Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts

Justizminister Jörg-Uwe Hahn fasste die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2011 in drei wesentliche Punkte zusammen:

  • „Der Vollzug der Sicherungsverwahrung (SV) muss therapiegerichtet und freiheitsorientiert ausgestaltet werden, d.h. es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um eine Perspektive für eine Beendigung der SV zu schaffen.
  • Die SV muss sich vom Strafvollzug unterscheiden; Stichwort ist hier das Abstandsgebot. Untergebrachte müssen rechtlich und tatsächlich besser gestellt sein als Strafgefangene.
  • Die Anstrengungen müssen frühzeitig beginnen, nämlich schon in der vorausgehenden Strafhaft. Ziel muss es sein, den Antritt der SV zu vermeiden.“

Ultima Ratio

Die Sicherungsverwahrung darf nur als letztes Mittel angeordnet werden, wenn andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht ausreichen, um dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit Rechnung zu tragen.

Individualisierungs- und Intensivierungsgebot

Eine umfassende und wissenschaftlichen Anforderungen genügende Behandlungsuntersuchung muss spätestens zu Beginn der Sicherungsverwahrung stattfinden und in einen Vollzugsplan münden.
Insbesondere im therapeutischen Bereich müssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, ggf. durch ein individuell zugeschnittenes Therapieangebot.
Die plangemäß gebotenen Maßnahmen sind zügig und konsequent umzusetzen. Hierzu bedarf es einer individuellen und intensiven Betreuung des Untergebrachten durch ein multidisziplinäres Team qualifizierter Fachkräfte. Erweisen sich standardisierte Therapiemethoden als nicht erfolgversprechend, muss ein individuell zugeschnittenes Therapieangebot entwickelt werden.

Motivierungsgebot

Den drohenden psychischen Auswirkungen, die mit der unbestimmten Dauer der Sicherungsverwahrung verbunden sind, ist durch ein Behandlungs- und Betreuungsangebot zu begegnen, dass nach Möglichkeit eine realistische Entlassungsperspektive eröffnet.
Die Bereitschaft des Untergebrachten zur Mitwirkung an seiner Behandlung ist durch gezielte Motivationsarbeit zu wecken und zu fördern.

Trennungsgebot

Der äußere Vollzugsrahmen muss einen deutlichen Abstand zum regulären Strafvollzug erkennen lassen.

Das Leben im Maßregelvollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen anzupassen, soweit Sicherheitsbelange dem nicht entgegenstehen.
Eine vom Strafvollzug getrennte Unterbringung in besonderen Gebäuden oder Abteilungen ist erforderlich, aber keine vollständige räumliche Ablösung vom Strafvollzug.
Die Gegebenheiten innerhalb der Einrichtung müssen den therapeutischen Erfordernissen entsprechen und ausreichende Besuchsmöglichkeiten zur Aufrechterhaltung familiärer und sozialer Außenkontakte bereithalten.
Ausreichende Personalkapazitäten müssen zur Verfügung stehen, um die Anforderungen eines freiheitsorientierten und therapiegerichteten Gesamtkonzepts der Sicherungsverwahrung praktisch zu erfüllen.

Minimierungsgebot

Die Konzeption muss Vollzugslockerungen vorsehen und Vorgaben zur Entlassungsvorbereitung enthalten.
Sind unbeaufsichtigte Lockerungen nicht möglich, müssen begleitete Ausführungen gewährt werden; diese können nur dann unterbleiben, wenn sie trotz der Beaufsichtigung zu schlechthin unverantwortbaren Gefahren führen.
Die Entlassungsvorbereitung ist mit planmäßigen Hilfen für die Phase nach der Entlassung zu verzahnen.  

Rechtsschutz- und Unterstützungsgebot

Dem Untergebrachten ist ein Rechtsanspruch auf Durchführung der zur Reduktion seiner Gefährlichkeit gebotenen Maßnahmen einzuräumen.
Den Untergebrachten ist ein geeigneter Beistand beizuordnen oder andere Hilfestellungen anzubieten, die ihn in der Wahrnehmung seiner Rechte und Interessen unterstützen.

Kontrollgebot

Die Fortdauer der Sicherungsverwahrung ist mindestens jährlich gerichtlich zu überprüfen. Anhaltspunkte für eine Aussetzungsreife gebieten eine unverzügliche gesonderte Überprüfung.
Die Vollzugsbehörde hat der zuständigen Strafvollstreckungskammer regelmäßig Sachstandsbericht zu erstatten.