Ausstellung „Körperwelten“ sorgt für lebhafte Diskussion

Tote sollen kein Aha-Erlebnis auslösen

Mainz – „Tote im Rampenlicht“ hieß der markante Titel einer Diskussion zur Ausstellung der „Körperwelten“, die seit Mitte Juni 2015 im Alten Postlager am Mainzer Hauptbahnhof zu sehen ist.

Schnell wurde deutlich, dass die Schau mit den Plastinaten auch nach 20 Jahren nichts an ihrer Faszination bei den einen und ihrer Abscheu bei den anderen eingebüßt hat. Das zeigte sich auch bei dem Gesprächsabend, zu dem die Erwachsenenbildung des Evangelischen Dekanats Mainz am Dienstag, 25. August, in die Josefskapelle des Städtischen Altenheims eingeladen hatte.

Das Podium war prominent besetzt: Dr. Angelina Whalley, seit 20 Jahren Kuratorin der „Körperwelten“-Ausstellung und Ehefrau des umstrittenen Plastinators Gunther von Hagens, sprach mit Dr. Klaus-Volker Schütz, dem evangelischen Propst für Rheinhessen, und Professor Christian-Friedrich Vahl, Herzchirurg der Universitätsmedizin Mainz. Und bis kurz vor Beginn mussten  zusätzliche Stühle herbeigeschafft werden, weil mehr Interessenten gekommen waren als angenommen. Gut 80 bis 90 Menschen waren da, um sich die Positionen anzuhören. Und nachher lebhaft darüber zu diskutieren.

Dabei waren die Fronten klar und blieben es. Propst Schütz begrüßt die anatomische Aufklärung grundsätzlich, aber er ist strikt gegen eine Präsentation von Toten. „Hier wird ein Wanderzirkus inszeniert, Tote werden zum Objekt gemacht und zur Schau gestellt. Der Mensch ist Plastik geworden. Aber Gott hat uns nicht geschaffen, dass wir als Plastinaten enden. Der Mensch bleibt das Ebenbild Gottes.“ Die Ausstellung sei kein wirklicher Ort menschlicher Selbsterkenntnis. Man könne Anatomie anschaulich darstellen ohne Leichen. „Sie überschreiten hier eine Grenze, die nicht überschritten werden darf“, sagte Schütz mit Blick auf die Kuratorin. „Und Sie machen daraus ein Geschäft.“ Der Propst bekam viel Beifall für die klaren Worte.

Angelina Whalley berichtete, dass die Schau in den vergangenen 20 Jahren rund 40 Millionen Menschen in Europa, Afrika, Amerika und Asien in ihren Bann gezogen habe, dass sie aber nirgendwo so kontrovers diskutiert werde wie in Deutschland. Die Resonanz der Besucher jedenfalls sei überwiegend positiv, erläuterte sie. 92 Prozent äußerten Respekt und Dank. „Man sieht in der Ausstellung Menschen, die tief bewegt sind in Anbetracht des menschlichen Körpers. Die Menschen sind berührt. Viele sagen nach dem Besuch, dass sie eine völlig andere Vorstellung ihrer Leiblichkeit haben. Viele haben mit dem Rauchen aufgehört, ernähren sich gesünder und betreiben mehr Sport.“ Ja, einige Besucher hätten die Schau als letzten Gottesbeweis empfunden, sagte Whalley. Auch sie bekam viel Beifall.

Herzchirurg Christian-Friedrich Vahl wirkte ein wenig wie ein Vermittler zwischen diesen beiden Positionen. „Medizin hat sich immer in Grenzbereichen bewegt.“ Er erinnerte an Paracelsus, der im 15. Jahrhundert als erster Mediziner Vorlesungen nicht auf lateinisch, sondern auf deutsch gehalten hat und dafür angefeindet und wahrscheinlich auch vergiftet wurde. Vahl erinnerte daran, dass um das Jahr 1800 rund 200 Grabräuber in London zu Gange waren, um Forscher mit Leichen zu beliefern. „Medizin kommt nicht immer in feinem Gewand daher.“ Vahl verteidigte das Konzept der „Körperwelten“: „Wenn wir mit einem Plastinat konfrontiert sind, sind wir mit unserer Zukunft konfrontiert – mit unserem Tod.“ Kein Modell könne ein Plastinat ersetzen. Deutliche Kritik äußerte Vahl hingegen an der offensiven Werbestrategie der Ausstellungsmacher mit großformatigen Plakaten in der Innenstadt und am Rheinufer. „Wer die Schau nicht sehen will, sollte davon auch verschont bleiben.“  Eine offene Zurschaustellung von Toten sei in einer multikulturellen Gesellschaft nicht angebracht. Vahl erhielt auf einer gefühlten Beifallsskala noch etwas mehr Zustimmung  als Schütz und Whalley.

Wie kontrovers  die Diskussion um die „Körperwelten“ nach 20 Jahren noch immer ist, zeigte sich auch bei den anschließenden Wortmeldungen. „Diese Art der Inszenierung ist unerträglich“, sagte ein Besucher. „Als Laie habe ich mich gefragt, warum es ein echtes Herz sein muss, dass mir dort gezeigt wird“, äußerte eine Besucherin. Birgit Pfeiffer, Präses im Dekanat Mainz und selbst Ärztin, meinte: „Die gesundheitliche Aufklärung und die Gegenüberstellung von gesunden und kranken Organen sind okay, aber nicht die Ganzkörper-Plastinate in Posen, die unnatürlich sind.“ Dazu erklärte Angelina Whalley: „Sie werden ein Modell nie in dieser Detailtreue nachbilden können. Von den echten Exponaten geht eine Aura aus. Sie lösen ein Aha-Erlebnis aus.“ Dekan Andreas Klodt, der die Diskussion moderierte, gab seine bis dahin gepflegte Zurückhaltung auf: „Sind tote Menschen dazu da, ein Aha-Erlebnis zu vermitteln?“ Es folgten weitere – emotional und sachlich geprägte – Äußerungen. „Ich fand die Ausstellung sehr interessant und lehrreich“, sagte eine Besucherin. „Und ich habe großen Respekt vor den Körperspendern.“ Und mit Blich auf die Kuratorin sagte sie: „Ich finde Ihre Arbeit ganz toll.“ Andere Besucher hielten dagegen: „Die Würde und der Respekt des Menschen werden verletzt.“  Die Kontroverse um „Tote im Rampenlicht“ – sie lebt.