Umfassende Datenanalyse zeigt steigenden Bedarf erzieherischer Hilfen im Neckar-Odenwald-Kreis

Jugendhilfeausschuss tagte im Kinder- und Jugenddorf Klinge

Neckar-Odenwald-Kreis – Im Kinder- und Jugenddorf Klinge und damit an einem sehr passenden Tagungsort fand am vergangenen Mittwoch (01.07.15) eine Sitzung des Jugendhilfeausschusses statt. Und so konnte Landrat Dr. Achim Brötel neben den Ausschussmitgliedern auch den Leiter des Dorfes, Georg Parstorfer, begrüßen. Parstorfer freute sich über die Sitzung in der Klinge, denn das Dorf sei auch ein Ort der Begegnung. Zudem erinnerte er daran, dass die Bewohner der Klinge bis 1960 hauptsächlich Kinder von Heimatvertriebenen gewesen seien. „Flüchtlingshilfe hat hier Tradition“, sagte Parstorfer, so dass man in der aktuellen Situation gern helfe, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unterzubringen.

Doch bevor sich die Ausschussmitglieder dieser drängenden Herausforderung annahmen, erhielten sie zunächst eine Analyse zu den erzieherischen Hilfen im Kreisgebiet. Präsentiert wurden die Daten von Kathrin Binder vom Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS), der auf Basis von Zahlen aus den Jahren 2006 bis 2013 einen landesweiten Bericht erstellt hatte. Mit einer präzisen, aber auch lebendigen Darstellung quantitativer Kennzahlen stellte die Soziologin die Situation im Kreis der in anderen baden-württembergischen Stadt- und Landkreisen gegenüber.

So habe es entsprechend des landesweiten Trends einen deutlich steigenden Bedarf an erzieherischen Hilfen gegeben. Dies betreffe stationäre Hilfen, also die familienersetzende Unterbringung in Wohngruppen oder Pflegefamilien, die um 45 Prozent angestiegen seien. Ebenso sei bei ambulanten und teilstationären Maßnahmen wie dem Einsatz von Erziehungsbeiständen oder der Betreuung in Tagesgruppen ein Anstieg um 81 Prozent zu verzeichnen gewesen. Den Grund hierfür sah Binder in einem gesellschaftlichen Wandel, der sich unter anderem in der verringerten Verlässlichkeit familiärer Strukturen zeige. Hier passten sich die Verhältnisse tendenziell denen städtischer Gebiete an. 

Auf Basis der Zahlen leitete Binder Empfehlungen für die weitere Arbeit ab, die zum einen auf eine Konsolidierung in Bereichen abzielten, in denen der Kreis über dem Landesdurchschnitt liege wie etwa bei der Gewinnung von Pflegefamilien. Dort wo es, wie beim Ausbau einer kinder- und familienfreundlichen Infrastruktur, noch Nachholbedarf gebe, müsse man zusätzliche Ressourcen einsetzen. Sowohl Dr. Brötel als auch Bürgermeister und Kreisrat Jens Wittmann (CDU) dankten Binder. Wittmann sagte, die Zahlen zeigten, dass man in vielen Bereichen im Landesvergleich schon gut aufgestellt sei. Es sei aber auch klar geworden, wo noch einiges getan werden müsse.

Dann informierte der Landrat wie die im Bundeskinderschutzgesetz geregelte Pflicht umgesetzt werde, dass Ehren- oder Nebenamtliche unter bestimmten Voraussetzungen ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen müssen, sobald sie Minderjährige beaufsichtigen oder ausbilden. Dr. Brötel sagte einleitend:

„Hier steckt man unweigerlich in einem Dilemma. Denn wir sind unendlich dankbar, dass es Ehrenamtliche gibt und wir wollen diese nicht unter Generalverdacht stellen. Umgekehrt haben bundesweit viele schrecklich Fälle gezeigt, dass man hier genauer hinsehen muss.“

Das Jugendamt werde daher auf Grundlage einer landesweiten Empfehlung mit den in Frage kommenden Trägern der freien Jugendhilfe entsprechende Vereinbarungen abschließen. „Aber auch allen anderen Trägern bieten wir an, diese Vereinbarung freiwillig mit uns abzuschließen, um sich ein zusätzliches Qualitätsmerkmal zu schaffen“, so Dr. Brötel. Der Ausschuss stimmte dem Verwaltungsvorschlag einstimmig zu. Um Fragen zu dem Thema zu beantworten, versprach der Landrat, dass man in Kürze auf der Webseite des Ehrenamtszentrums Informationen zur Verfügung stellen werde.

Eine beinahe tagtäglich wachsende Herausforderung für das Jugendamt sei es, so der Landrat überleitend, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unterzubringen. Wo eine Unterbringung bei Verwandten nicht möglich sei, versuche das Jugendamt eine Pflegefamilie zu finden, um den Kindern und Jugendlichen dort möglichst eine neue Heimat zu geben. Sei dies auch nicht möglich, würde man den Minderjährigen einen Platz in speziellen Einrichtungen wie der Klinge oder dem Erzbischöflichen Kinder- und Jugendheim St. Kilian in Walldürn vermitteln. Dr. Brötel dankte beiden Einrichtungen für die gute Kooperation, über die man bisher schon für junge Flüchtlinge eine gute Lösung gefunden habe. Dass dieses Thema die Ausschussmitglieder bewegte, zeigten die zahlreichen Diskussionsbeiträge, unter anderem von Kreisrat Volker Schwender (SPD), Bürgermeister Wittmann, dem Vorsitzenden des Kreisjugendrings Marcus Wildner sowie dem Schulleiter des Ganztagsgymnasiums Osterburken Willi Biemer. Dabei war es der Wunsch, diese Jugendlichen möglichst gut zu integrieren und die Maßnahmen auch bei Erreichen des 18. Lebensjahrs nicht abzubrechen. Zudem wünschte man sich weitere Informationen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen und unterstützte den Aufruf der Verwaltung, Pflegefamilien zu suchen.

„Sprechen Sie mit Personen im Ihrem Umfeld, die sich grundsätzlich vorstellen können, als Pflegefamilie einen Minderjährigen aufzunehmen. Unser erfahrenes Pflegekinderteam wird dann gern individuell beraten“, sagte Dr. Brötel.

Abschließend stimmten die Ausschussmitglieder noch einstimmig dafür, den Deutschen Kinderschutzbund Neckar-Odenwald-Kreis e.V. als Träger der freien Jugendhilfe anzuerkennen.