Heidelberg: Bewegung und Krebs – Internationale Experten veröffentlichen Empfehlungen für Krebspatienten

Rudern gegen Krebs-Regatta in Heidelberg (Foto: Hannes Blank)
Rudern gegen Krebs-Regatta in Heidelberg (Foto: Hannes Blank)

Heidelberg – Auch wenn Betroffene eine Krebserkrankung überstanden haben, können Krebstherapien unerwünschte Langzeitfolgen hinterlassen. Untersuchungen haben gezeigt, dass Krebspatienten von einer gezielten Bewegungstherapie vor, während und nach onkologischer Behandlung profitieren können, um ihre Fitness zu verbessern, körperliche Funktionen wiederherzustellen und die Lebensqualität zu verbessern.

Ein internationales Konsortium unter Beteiligung des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg hat nun alle verfügbaren Daten zur Wirksamkeit von Sport und Bewegung bei Krebs ausgewertet und weltweite Empfehlungen für Betroffene veröffentlicht. Landesspezifische Vertreter sollen jetzt flächendeckend Bewegungsangebote in die Krebsnachsorge integrieren.

Moderne diagnostische und therapeutische Verfahren in der Onkologie haben es möglich gemacht, dass die Heilungsraten in den letzten Jahren stark angestiegen sind. So leben allein in Deutschland rund vier Millionen Menschen, die eine Krebserkrankung überstanden haben. Oft hinterlässt die Erkrankung aber Spuren, die den Alltag der Betroffenen beeinträchtigen können. Besonders häufig leiden Krebsüberlebende unter Erschöpfung, Schmerzen, Schlafstörungen, Ängsten, Sorgen, Bewegungseinschränkungen und Polyneuropathie. Studien haben gezeigt, dass gezielte Bewegungstherapie die physischen, psychischen und psychosozialen Einschränkungen onkologischer Patienten in der Nachsorge positiv beeinflussen können. „Trotz dieser positiven Erkenntnisse sind Bewegungsangebote für Krebspatienten in der Nachsorge noch längst nicht überall in Deutschland vorhanden und auch in den Leitlinien zur Nachsorge einzelner Krebsarten nur unzureichend verankert“, berichtet Joachim Wiskemann, Sportwissenschaftler und Leiter der Arbeitsgruppe Onkologische Sport- und Bewegungstherapie am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg und Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD).

Um das zu ändern, trafen sich internationale Experten im letzten Jahr in den USA zum „International Multidisciplinary Roundtable on Exercise and Cancer Prevention and Control“, organisiert vom American College of Sports Medicine (ACSM). Während der zweitägigen Veranstaltung ging es darum, die Bewegungsempfehlungen für Krebsüberlebende basierend auf jüngsten Forschungsergebnissen zu überarbeiten. Als Vertreter für Deutschland war Joachim Wiskemann vom NCT Heidelberg/ UKHD Teil der Expertenkommission. Die gewonnenen Erkenntnisse veröffentlichten die internationalen Autoren in einem Bericht und erstellten anwendungsbezogene Trainingsempfehlungen. Landesspezifische Vertreter des internationalen Expertengremiums haben nun die Aufgabe, diese Empfehlungen in ihrem jeweiligen Land in die klinische Anwendung zu bringen.

In ihren Auswertungen kamen die Experten zu dem Schluss, dass körperliches Training und notwendige körperliche Tests für Krebsüberlebende sicher sind und dass jeder Betroffene Inaktivität vermeiden sollte. Darüber hinaus erstellten die Wissenschaftler und Ärzte eine Liste von krebsbezogenen Gesundheitsbeeinträchtigungen wie Angstzuständen, depressiven Symptomen, Müdigkeit, körperlicher Leistungsfähigkeit, Lymphödemen und Lebensqualität, bei denen Bewegung mit hoher klinischer Relevanz einen therapeutischen Nutzen für den Patienten darstellt. Dabei geben sie klare Empfehlungen für einzelne Krebsarten und die Bewegungsintervention differenziert nach Ausdauer- und/ oder Krafttraining, der Intensität, Dauer und Frequenz der Trainingseinheiten. „Bei krebsbedingten Beschwerden, die die Knochendichte oder den Schlaf betreffen, gibt es Hinweise, dass ein körperliches Training die Symptome mildern kann. Wir können jedoch noch keine detaillierten Trainingsempfehlungen auf der aktuellen wissenschaftlichen Grundlage geben. Ebenso begrenzt ist das Wissen noch zu kardiotoxischen Nebenwirkungen der Krebsbehandlung wie beispielsweise Herzinsuffizienz, zu Polyneuropathie, Schmerzen oder Übelkeit. Hier müssen noch weitere Forschungsarbeiten folgen, die die Wirksamkeit von Bewegungstherapie prüfen“, sagt Wiskemann.

Die Empfehlungen der internationalen Expertenkommission richten sich an Patienten und alle, die in die Betreuung von onkologischen Patienten eingebunden sind. Ein besonderer Fokus liegt auf bewegungstherapeutischen Berufsgruppen, sowie Fitness- und Gesundheitsexperten. Joachim Wiskemann wird sich gemeinsam mit dem Deutschen Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie e. V. (DVGS) dafür einsetzen, die Versorgung von Krebspatienten durch flächendeckende Bewegungsangebote in der Nachsorge zu verbessern. Das am NCT Heidelberg gegründete Netzwerk OnkoAktiv verfolgt diese Ziele bereits seit 2012. Der Verbund von Gesundheitseinrichtungen in der Region Rhein-Neckar, mit inzwischen drei überregionalen OnkoAktiv-Zentren in Frankfurt, Coburg und Hamburg, ermöglicht Krebspatienten wohnortnah ein qualitätsgesichertes sport- und bewegungstherapeutisches Angebot. „Wir wollen unter anderem mit Strukturen wie OnkoAktiv den Zugang zu betreuten Bewegungsinterventionen erleichtern und mehr Sportgruppen mit spezifisch geschulten Trainern aufbauen. Letztendlich sollte ein individuell angepasstes Bewegungstraining Teil jedes Nachsorgeplans für Krebspatienten sein“, ergänzt Wiskemann.


Originalpublikation:
K. L. Campbell, K. Winters-Stone, J. Wiskemann, A. M. May, A. L. Schwartz, K. S. Courneya, D. Zucker, C. Matthews, J. Ligibel, l. Gerber, G. S. Morris, A. Patel, T. F. Hue, F.M. Perna, K. H. Schmitz (2019) Exercise Guidelines for Cancer Survivors: Consensus Statement from International Multidisciplinary Roundtable. Medicine & Science in Sports & Exercise, DOI 10.1249/MSS.0000000000002116

Tabellarischer Überblick über krebsbezogene Beeinträchtigungen, bei denen Bewegung eine klinische Relevanz hat:
https://www.nct-heidelberg.de/fileadmin/media/nct-heidelberg/news/Meldungen/Dateien/ACSM_Guidelines_2019.pdf