Corona-Krise: Die Stunde der Stubenhocker

Ein Kommentar von Dr. Sarah Kohl, Heidelberg

Solidarität – in aller Munde ist dieses Wort, das doch sonst in unserer schnelllebigen Zeit, in der oft mehr der Ellbogen statt des Mitgefühls regiert, nur selten Verwendung findet. Jetzt aber, in Zeiten der Corona-Krise, wird Solidarität vor allem mit den Alten und gesundheitlich Schwachen unserer Gesellschaft gefordert, da die Gefahren, die von dem Virus ausgehen, für diese Bevölkerungsgruppen am größten sind.

Wer hätte es sich träumen lassen, dass diese Menschen, die so oft in unserer Leistungsgesellschaft zurückstecken und hintenanstehen müssen, nun unter dem Schutz der Gesellschaft stehen? Diese Entwicklung, die durch die weltweite Pandemie entstanden ist, lässt darauf hoffen, dass die Gesellschaft in ihrem Kern neben all ihrer Ellbogenmentalität doch so etwas Gemeinschaftssinn und Anteilnahme birgt. Auch der immer lauter werdende Ruf nach Dankbarkeit für die so überlasteten wie engagierten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Gesundheitswesen, an den Supermarktkassen und hinter dem Apothekentresen ist Teil dieses jäh entfachten und begrüßenswerten Sinns für Solidarität. Doch neben diesen positiven Auswüchsen des neuen Solidaritätsbewusstseins gibt es wie immer auch Stimmen, die die Situation zur Schärfung ihres eigenen Egos und zur Kaschierung ihrer Minderwertigkeitskomplexe nutzen. Gemeint sind hier diejenigen, die sich vor allem in Internetforen als digitale Blockwarte aufspielen und den Leuten, die sich um die Einschränkung ihrer grundlegendsten Rechte sorgen, die Welt erklären wollen. So zum Beispiel wenn im Rahmen der Diskussion um bundesweite Ausgangssperren besorgten Stimmen im Netz, die befürchten, dass man im Zuge solcher Beschlüsse nicht einmal mehr das Haus zum Joggen oder täglichen Spaziergang verlassen darf, mit solchen Kommentaren begegnet wird: „Bleib zu Hause, sonst tötest Du Menschen“ oder „Du hast das Recht, zu Hause zu bleiben und jetzt mach den Kopf zu“ oder ganz radikal „Diejenigen, die jetzt noch rausgehen und glauben, sie hätten ein Recht darauf, sollten alle weggesperrt werden“.

Vor dem Hintergrund, dass die bereits getroffenen Maßnahmen wahrscheinlich mehrere Monate durchgehalten werden müssen, lassen einen solche Kommentare nur mit Fassungslosigkeit zurück. Entweder es handelt sich um die Stubenhocker, die sich auf ihren Eskapismus endlich einmal etwas einbilden und sich für die besseren Menschen halten können. Oder es handelt sich um die typischen Gutmenschen, die meinen, sich als moralische Instanz aufspielen zu müssen, weil sie sonst eher nichts zu sagen haben. Es ist aber auch egal.

Wichtig ist an dieser Stelle zu betonen, dass es ebenso ein Akt der Solidarität ist, die Sorgen und Ängste derjenigen ernst zu nehmen, die um solch grundlegende Rechte bangen wie um die Ausübung von individuellem Sport und Bewegung an der frischen Luft. Diejenigen, die meinen, andere Menschen diffamieren zu können, weil diese um das Verbot der elementarsten Grundbedürfnisse bangen, haben den neu entflammten Geist von Solidarität in keiner Weise verstanden, sondern schwimmen weiter in ihrer egozentrischen Suppe und sind damit genauso zu kritisieren wie diejenigen, die sich über alle Verbote hinwegsetzen und meinen, Corona-Partys feiern zu müssen. Beides ist in höchstem Maß unsolidarisch und hat in der aktuellen Situation nichts verloren.