OVG RLP: Landkreis Kaiserslautern nicht zur Erhöhung der Kreisumlage verpflichtet

Urteil vom 17. Juli 2020, Aktenzeichen: 10 A 11208/18.OVG

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Symbolbild, Justizia © on Pixabay

Koblenz – Die Beanstandung des Haushalts des Landkreises Kaiserslautern für das Jahr 2016 durch die Kommunalaufsicht des Landes Rheinland-Pfalz und die von ihr festgesetzte Erhöhung der Kreisumlage sind rechtswidrig, weil das Land dadurch unzulässig in die verfassungsrechtlich geschützte finanzielle Mindestausstattung von mehr als einem Viertel der kreisangehörigen Gemeinden eingriffen hat. Dies entschied das Oberverwal­tungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz.

Vor dem Hintergrund des trotz Verbesserungen gegenüber dem Vorjahr weiterhin unausgeglichenen Haushaltes des Landkreises Kaiserslautern und seiner bilanziellen Überschuldung beanstandete die Kommunalaufsicht des beklagten Landes dessen Haushalt für das Haushaltsjahr 2016 und forderte ihn zur Reduzierung des Fehlbetra­ges um zwei Millionen Euro auf. Der Landkreis hielt dies für rechtswidrig, weil er seine Kräfte größtmöglich angespannt habe. Vielmehr sei die Finanzausstattung durch das Land zu niedrig. Die von der Kommunalaufsicht als einzig effektives Mittel zur Reduzie­rung des Fehlbetrages geforderte Erhöhung des Umlagesatzes der Kreisumlage lehnte er mit Blick auf die angespannte finanzielle Lage zumindest einiger kreisangehöriger Gemeinden ab. Daraufhin setzte die Kommunalaufsicht den Umlagesatz für die Kreisumlage im Wege der Ersatzvornahme auf einen trotz der Zusatzbelastung der kreisangehörigen Kommunen ihrer Meinung nach vertretbaren und gebotenen Satz von 44,23 v.H. fest, was eine Erhöhung um knapp zwei Prozentpunkte bedeutete.

Gegen diese kommunalaufsichtlichen Maßnahmen erhob der Kläger Klage, die das Verwaltungsgericht abwies. Die kommunalaufsichtliche Beanstandung sei rechtmäßig, weil der Kreistagsbeschluss des Klägers über den Haushalt 2016 gegen das Überschul­dungsverbot und das Gebot des jährlichen Haushaltsausgleichs verstoßen habe. Seiner rechtlichen Verpflich­tung, das Haushaltsdefizit so gering wie möglich zu halten, könne sich der Kläger nicht durch Hinweis auf eine unzureichende Finanzierung durch den Beklagten entziehen, solange es ihm möglich sei, selbst Maßnahmen zur Haus­haltssanierung zu ergrei­fen. Eine solche Maßnahme sei die Erhöhung des Kreis­umlagesatzes. Der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die desolate Finanzlage der meisten seiner kreis­angehörigen Gemeinden es nicht zulasse, der Anordnung des Beklagten nachzu­kommen. Der Beklagte sei rechtsfehlerfrei zu dem Ergeb­nis gelangt, dass bis auf drei Gemeinden keine der kreisangehörigen Kommunen einen „nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbe­trag“ aufweise und dass aus­reichende Kapitalrücklagen vorhanden seien, um auf­gelaufene Fehlbeträge zu verrechnen und somit den geforderten Haus­haltsausgleich zu erreichen.

Auf die Berufung des Klägers gab das Oberverwaltungsgericht hingegen der Klage statt und hob die angegriffenen kommunalaufsichtlichen Maßnahmen auf.

Die Beanstandung des Haushalts des Klägers einschließlich der geforderten Reduzie­rung des Fehlbetrags und die im Wege der Ersatzvornahme festgesetzte Erhöhung der Kreisumlage durch die Kommunalaufsicht des beklagten Landes seien rechtswidrig. Die Kommunalaufsicht könne Beschlüsse des Kreistags beanstanden, die das bestehende Recht verletzten. Der vom Kreistag des Klägers beschlossene Haushalt für das Jahr 2016 habe zwar objektiv gegen die Pflicht zum Haushaltsausgleich und das Verbot bilanzieller Überschuldung verstoßen. Wenn ein vollständiger Haushaltsausgleich außerhalb des Möglichen liege – wie zwischen den Beteiligten unstreitig hier –, so bestehe die Verpflichtung, den Ausgleich mit allen Mitteln anzustreben. Die Beanstan­dung sei jedoch ermessensfehlerhaft. Für die Rechtmäßigkeit der Beanstandung sei es allerdings vorliegend rechtlich ohne Belang und könne daher offenbleiben, ob das beklagte Land seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung nachgekommen sei, für eine angemessene Finanz­ausstattung der Landkreise zu sorgen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn – wie hier – außer Streit stehe, dass der Beklagte seinen einfach-gesetzlichen Verpflichtungen zur Finanzierung des Klägers nachgekommen sei. Die ausgespro­chene Beanstandung erweise sich vielmehr deswegen als unverhältnismäßig, weil dem Kläger auch bei größtmöglicher Anspannung seiner Kräfte keine ausrei­chenden, ins­besondere mit Blick auf die verfassungsrechtlich geschützten Belange seiner kreis­angehörigen Gemeinden zulässigen Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung gestan­den hätten, um sein Haushaltsdefizit spürbar, d.h. mehr als nur geringfügig, zu reduzie­ren. Nicht ausgeschöpfte konkrete Einsparpotenziale von nennenswertem Umfang seien nicht erkennbar und auch vom Beklagten nicht präzisiert worden. Die dann allein verbleibende Erhöhung der Kreisumlage habe indes vom Beklagten nicht angeordnet werden dürfen, weil sie in die verfassungsrechtlich geschützte finanzielle Mindestaus­stattung von mindestens ca. einem Viertel der kreisangehörigen Gemeinden eingreife. Bei der Beantwortung der Frage, ob die Erhöhung einer Kreisumlage allein oder im Zusammenwirken mit anderen Umlagen dauerhaft gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung der umlagepflichtigen Gemeinden ver­stoße, sei maßgeblich auf die Liquiditätskreditbelastung innerhalb eines Zehnjahres­zeitraums abzustellen. Sonstige Finanzkennzahlen, insbesondere die „freie Finanz­spitze“ oder die Eigenkapitalhöhe bzw. Kapitalrücklage, seien entgegen der Annahme der Vorinstanz insoweit weniger oder kaum aussagekräftig. Die im Eigenkapital bilan­zierten Vermögenswerte, z.B. Friedhöfe, Gemeindestraßen und sonstige kommunale Einrichtungen, seien nämlich überwiegend nicht veräußerbar.

Liquiditätskredite sollten von Gesetzes wegen lediglich den verzögerten Eingang von Deckungs­mitteln überbrücken und dürften ausschließlich zu Zwecken der Kassen­verstärkung vorübergehend genutzt werden. Sie stellten insbe­sondere kein Deckungs­mittel zur dauerhaften Finanzierung von ungedeckten Aus­zahlungen oder zur Finanzie­rung von Zinsgeschäf­ten dar. Für die Frage, ab welcher Kredithöhe die Aufnahme von Liquiditätskrediten signali­siere, dass einer Gemeinde keine ausreichenden Spielräume mehr für die Wahr­neh­mung freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben zur Verfügung stün­den, existierten weder rechtliche Festlegungen noch einschlägige Rechtsprechung. Es sei neben der Dauerhaftigkeit auch die Höhe der Liquidi­tätskreditbelastung zu betrach­ten, zu bewer­ten und diese überdies in Relation zur Einwohnerzahl zu setzen. Der Rechnungshof Rheinland-Pfalz halte in seinem Kommunalbericht 2018 Liquiditäts­kreditschulden u.a. für problematisch, wenn sie pro Einwohner mehr als 1.000 € betrü­gen. Dane­ben könne die Liquiditätskredithöhe pro Einwohner in Relation zu dem landes- oder dem kreis­weiten Durchschnitt gesetzt werden. Aus den vom Kläger und vom Statistischen Landesamt vorgelegten Zahlen ergebe sich, dass nach allen diesen Vergleichsmaß­stäben langjährig mindestens ein Viertel, häufig sogar ein Drittel bis die Hälfte aller Orts­gemeinden im Bereich des Klägers durchgängig so hohe Liquidi­täts­kreditschulden pro Einwohner aufwiesen, dass ihnen kein rechtlich abgesicher­ter Spiel­raum für nicht kreditfinanzierte freiwillige Selbstver­waltungsaufgaben mehr verbleibe. Deshalb sei die von dem Beklagten im Wege der Kommunalaufsicht durchgesetzte Erhöhung der Kreisumlage rechtswidrig. Der Einwand eines Eingriffs in die finanzielle Mindestausstat­tung sei vorliegend schließlich nicht deshalb ausgeschlossen, weil die mit dauerhaft hohen Liquiditätskrediten belasteten kreisangehörigen Gemeinden bei struktureller Betrachtung ihre Einnahmemöglichkeiten nicht ausgeschöpft hätten. Aus­weislich der Kommunalberichte und eines vom Kläger vorgelegten Gutachtens lasse sich bei einer Querschnittsbetrachtung des Landkreisbereichs kein nennenswertes Potenzial für Ein­nahmesteigerungen im Bereich der Realsteuerhebesätze feststellen.