Vortrag von Prof. Dr. Werner Mezger am 15.11.2013 bei der vhs-Rheinzabern

Gerhard Beil bei der Übergabe eines Präsentes an Prof. Dr. Werner Mezger.

Er trägt sein Herz auf der Zunge. Er ist Professor im wahrsten Sinne des Wortes – Bekenner und Verbreiter seiner Erkenntnisse unter die Leute. Eile ist geboten. Vieles vom Jahrhunderte alten Wissen um den Jahresrhythmus droht verloren zu gehen, nicht zuletzt wegen der Entfremdung der Menschen von der Natur.

Umso erfreulicher die vielen hörbaren und stillen „Aha“-Erlebnisse bei den Zuhörern. Prof. Werner Mezger hat als Volkskundler etwas scheinbar Alltägliches im Blick: Den Kalender, eine der „größten Kulturschöpfungen“ der Menschen, so Mezger. Unstrittig auch: Die Einbindung unserer Menschen in den christlichen Rahmen, denn die Einflüsse der Religion im Alltag, Feste, Bräuche, Riten, prägen uns mehr als wir erahnen.

Ein Stäubchen im All

 Auf einem „Hubble“-Weltraumfoto können wir Helios, die Sonne, Frau Luna, den Mond, und unseren „Blauen Planeten“, allenfalls als Stäubchen erahnen. Sonne und Mond waren aber schon früh wichtige Bezugspunkte für Kalendermacher. Der Mond ist zwar zumeist gut sichtbar, aber äußerst unzuverlässig, während die an der Sonne orientierte Einteilung des Jahreslaufs längerer Beobachtungszeiträume bedarf.
Eine besondere Herausforderung in der Geschichte der Menschheit waren stets die Extremräume mit knappen natürlichen Ressourcen wie Wasser oder Ackerland, etwa die Flussoasen von Mesopotamien oder Ägypten. Möglichst genau das Eintreffen des alljährlichen Hochwassers vorherzubestimmen, um die Bewässerung und den Deichbau zu organisieren, das war eine Aufgabe für Priester. Wir erinnern uns an die biblische Geschichte von den 7 fetten und mageren Kühen, die der junge Joseph dem Pharao deutete.

Cäsars Annus confusus 

Immer genauer konnte man die Zeit messen, weshalb Schalttage, -minuten und –sekunden notwendig wurden. Die Römer hängten sogar ans Ende ihres ursprünglich 10-monatigen Jahres (Dezember= der 10. Monat) gleich zwei Monate an und legten den Schalttag ans Februarende, den Tag vor dem römischen Neujahr am 1. März. Beeinflusst von ägyptischem Know-how, setzte Julius Cäsar im Jahre 46 v. Chr. quasi „mit der Brechstange“ einen neuen Kalender durch. Bereits ein Jahr zuvor, im Jahre  47 v.Chr., wurde ein „Annus confusus“ eingeschoben, mit 455 Tagen das längste Jahr der Geschichte. 
Über die Termine christlicher Hochfeste wurde sogar auf frühen Konzilien gestritten. Die Ostkirche feiert noch heute das Fest Christi Geburt am 6. Januar. Während Weihnachten einen festen Termin am 25. Dezember bekam, am römischen Fest des Sol invictus, liegt Ostern, das höchste christliche Fest, auf einem beweglichen Termin, der sich nach dem ersten Frühjahrsvollmond richtet.

Gregor mit dem „Brecheisen“

Cäsars Kalender trat am 23. Februar des Jahres 46 v. Chr. in Kraft, am Tag des römischen Gottes Terminus, dem Beschützer von Grenzen und Grenzsteinen. Genau am gleichen Tag des Jahres 1582 wurde durch päpstliche Bulle der Gregorianische Kalender eingeführt. Seit Cäsars Kalenderreform waren wieder 10 Tage Differerenz aufgetreten. Auch Papst Gregor XIII. hatte „das Brecheisen“ (Mezger) angesetzt, denn man zählte nach dem 4. Oktober gleich den 15. Oktober.  Der Gregorianische Kalender fand jedoch nicht überall gleich Zuspruch, befand man sich doch im Zeitalter der Glaubensspaltung. Seit der Reformation gab es viele Protestanten, die den päpstlichen Kalender nicht anerkannten. Bezeugt ist eine Kuriosität im fürstbischöflich-speyerischen Städtchen Weil der Stadt, das mitten im protestantischen Württemberg lag.  Aus der Umgebung kamen Leute in die Stadt und fragten nach dem rechten Datum, denn man hatte den „Papisten“ unterstellt, mit dem Kalender eine „teuflische Tat“ zu vollbringen, in dem man verheimlichen will, wann der „jüngste Tag“ kommt. 

Kosmos und Kirche

Bei der Kalenderreform ging es auch um Macht, um die Deutung der Zeit als göttliches Werk, weswegen wir z.B. in Kirchen prächtige Astronomische Uhren finden, die die Verbindung von Kosmos und Kirche zum Ausdruck brachten. Im Gegensatz dazu errichteten aber auch weltliche Herrscher Uhrtürme. Einer  der berühmtesten ist der Torre del‘ orologio schräg gegenüber des Markusdoms in Venedig. 

„Anneresl“ für Leseunkundige

Interessant auch der Kalender für des Lesens Unkundige, eine „Biblia Pauperum“, die ganz aus Symbolen und Bildern bestand, woran aber besonders deutlich die Akzente der Feiertage sichtbar wurden (Für die Rheinzaberner beruhigend: Der „Anneresl“ – Sankt Andreas – ist mit dem Andreaskreuz als Attribut dargestellt).

Martins- und Johannistag

Längst ist das Kirchenjahr, das vom 1. Dezember bis zum Andreastag am 30. November geht, durch den staatl. Kalender mit gesetzl. Sonn- und Feiertagen abgelöst. Dennoch steckt in unserem heutigen Kalender immer noch viel christliche Symbolik. Doch deswegen aus dem Martinstag ein „Sonne-Mond-und-Sterne-Fest“ zu machen, wie es jüngst ein „Sonderling“ forderte, scheint dennoch übers Ziel hinaus zu schießen. Sankt Martin wird sogar von den Muslimen anerkannt, denn sein Geist, das  Teilen und Mitleid mit Armen und Schwachen, ist vielen Religionen immanent.  Allerdings hat der  Laternenumzug am Martinstag mit Sankt Martin eigentlich nicht direkt zu tun, vielmehr beziehen sich die Lieder beim Lichter tragen auf das frühere Evangelium zum Tage. Bei Lk. 11, 33-36 heißt es etwa: Niemand zündet eine Lampe an, um sie dann zu verstecken oder unter einen Topf zu stellen. Im Gegenteil, sie kommt auf den Lampenständer, damit alle, die das Haus betreten, das Licht sehen können. 
Ähnlich verhält es sich mit dem Johannistag am 24. Juni. Prof. Mezger erinnert dabei an den wieder aufkommenden Brauch des Johannesfeuers am 24. Juni. Für manche eine günstige Gelegenheit zu einem Sommerfest.  Theologischer Hintergrund aber ist die Ankündigung  des Erlösers. Johannes geht ihm voraus und soll gesagt haben: "Ich zwar taufe euch mit Wasser zur Buße; der nach mir … er wird euch mit Heiligem Geiste und mit Feuer taufen!“ Und wie heißt es auf dem berühmten Isenheimer Altar? „Jenem gebührt zu wachsen, mir aber, kleiner zu werden“. 

Gedächtnis in Stein gemeißelt

Alle Feste des Jahreskreises sind Erinnerungsfeste an die Heilsgeschichte. Mezger bezeichnet den Kalender als „kulturelle Gedächtnis“ und weist auf zwei zentrale Achsen im Kirchenjahr hin. Die eine reicht von Mariä Verkündigung, dem 25. März, bis zum Fest Christi Geburt neun Monate später, am 25. Dezember. Die zweite Achse führt vom Namenstag des Evangelisten Johannes, vom 24. Juni,  zum 24. Dezember, dem „Vorabend“ des Weihnachtsfestes, womit das Vorausgehen symbolisiert wird. 
Besonders schön ist dieser Bezug zum christlichen Jahreszyklus im Tympanon der Kathedrale von Vezelay/Burgund dargestellt. Dieses Bild ist Highlight des Abends. Bis ins kleinste Detail stellt der Künstler idealtypisch den Jahresablauf und die Einbindung in den Kosmos dar. Die zentrale Achse führt vom Evangelisten Johannes hin zu Jesus Christus. Der Weg dorthin ist dreigeteilt wie die Zeit im Mittelalter. Das Alte Testament gilt als Zeit vor der Gnade, das Neue Testament wird als Zeit der Gnade bezeichnet. Der dritte Zeitabschnitt ist die ewige Seligkeit. Zudem verläuft exakt am Johannistag eine „Achse“ aus Lichtpunkten genau auf der Mittelachse der Kathedrale vom Eingang zum Altar. Somit wird mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass die Kathedrale eine Schnittstelle zur Ewigkeit darstellt.

Ein engagierter Vortrag, der viel Gesprächsstoff hinterlässt.