Sitzung Jugendhilfeausschuss

Im Mittelpunkt der Sitzung des Jugendhilfeausschusses, der im Bürgersaal des Mosbacher Rathauses tagte, stand ein Vortrag von Dr. Karsten Rudolf, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Johannes-Diakonie.

Er sprach zum Thema psychiatrische Störungen bei Kindern und Jugendlichen – ein Krankheitsbild, das immer noch ein Stigma trage, oft verschwiegen und noch öfter gar nicht erst entsprechend diagnostiziert und behandelt werde. „Dabei ist es so wichtig, früh eine mögliche Störung festzustellen und an die Ursachen zu gehen. Denn entgegen einer früheren Lehrmeinung „verwächst“ sich das eben nicht, “ so Dr. Rudolf.

Zunächst begrüßten Landrat Dr. Achim Brötel, der die Sitzung leitete, und Mosbachs Bürgermeister Michael Keilbach die Ausschussmitglieder. Dann widmete sich Dr. Rudolf den zehn bis 20 Prozent aller Kinder und Jugendlichen, die in Deutschland psychiatrische Störungen zeigen. Die Bandbreite ist groß: ADHS, Essstörungen (von der Mager- bis zur Fettsucht), Suchtproblematiken, Verhaltensstörungen oder große Probleme in und mit der Schule, um nur einige zu nennen. Nur rund 17 Prozent der betroffenen Kinder erhalten im Übrigen eine adäquate Behandlung, weil entsprechende Schwierigkeiten nicht zuletzt von den Eltern oft ignoriert oder mit Tabletten in Eigenregie behandelt, aber nicht einem entsprechenden Mediziner vorgestellt werden. Hier verzeichnete Dr. Rudolf einen eklatanten Mangel im Neckar-Odenwald- und im Main-Tauber-Kreis, obwohl die Versorgung „offiziell“ gewährleistet sei: „Wir bräuchten dringend weitere gut qualifizierte Kinder- und Jugendpsychiater.“ Es gehe nicht darum, so der Facharzt, Betroffene zu „etikettieren“ und ihnen damit vielleicht sogar eine erfolgversprechende Zukunft zu verbauen. Wichtig sei zunächst eine sorgfältige Diagnose – „bei vielen stellen wir auch gar keine ernst zu nehmende Störung fest“ – und dann gegebenenfalls eine qualifizierte Behandlung, um den Kindern und Jugendlichen eben nicht die gute Zukunft zu „verbauen“, sondern vielmehr zu ermöglichen.

Kinder, die in Armut leben, haben laut Dr. Rudolf ein 1,8-mal größeres Risiko, psychiatrisch auffällig zu werden. Erhöhte Risikofaktoren haben Scheidungskinder bzw. Kinder, die bei Alleinerziehenden leben, Jugendliche mit Migrationshintergrund oder auch Kinder, deren Eltern sucht- oder in anderer Weise psychiatrisch krank sind. Und auch Kinder, die eine genetische Vorbelastung haben oder deren Mütter in der Schwangerschaft Alkohol oder Drogen konsumiert haben, sind anfälliger. „Oft“, so der Fachmann, „kommen da mehrere Faktoren zusammen.“ Dennoch „müssen“ diese Kinder nicht krank werden: „Manche sind einfach weniger verletzlich als andere. Und es gibt auch „Schutzfaktoren“ wie eine verlässliche Bindung an eine Vertrauensperson, Schulerfolg oder den Sport.“ Bei alledem, so Dr. Rudolf, dürfte auch nicht vergessen werden, dass immerhin rund 80 Prozent aller Kinder und Jugendlichen „pumperlgsund“ sind: „Aber bei den anderen sollten wir genauer hinschauen.“ In diese Richtung geht auch die enge und gute Kooperation und Vernetzung mit den öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe im Kreis  und mit dem Jugendamt.

Eine rege genutzte Fragerunde schloss sich an, bevor der Landrat zum Sachstand hinsichtlich des Tagesbetreuungsausbaugesetzes (TAG) sprach. Tatsächlich haben die Städte und Gemeinden in den vergangenen Jahren große Anstrengungen unternommen, um die Betreuungsangebote für Kinder, gerade auch für unter Dreijährige, wesentlich zu verbessern. Die aktuelle Versorgungsquote liegt hier bei knapp 30 Prozent  im Vergleich zu einem vom KVJS errechneten Bedarf im Kreis von 32 Prozent. Mit anderen Worten: Die Zahl der Betreuungsplätze für diese Altersgruppe ist von 121 im Jahr 2005 auf aktuell 923 gestiegen.  „Diese Anstrengungen gehen auch nach dem Stichtag 1. August 2013 weiter“, erklärte der Landrat, der zudem darauf verwies, dass es im Kreis bisher keine Klage aufgrund eines fehlenden Betreuungsangebotes gegeben habe: „Demnach ist der Bedarf also offenbar gedeckt.“ In jedem Fall sei das Thema nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in den Rathäusern angekommen, was später Kreisrat Rainer Houck aus Schefflenz (CDU) bestätigte: „Wir können nicht jeden individuellen Wunsch erfüllen, aber die Situation wird sich weiter verbessern. Gerade auch in Randzeiten oder in den Ferien.“ Nur die Tagespflege „hinke hinterher“ im Vergleich zu institutionellen Betreuungsangeboten. „Aber hier haben wir die Rahmenbedingungen verbessert und sind auf die Auswirkungen gespannt“, erklärte der Landrat.

Inhaltlich schloss hier der letzte Tagesordnungspunkt an, der auf einem Antrag der SPD-Kreistagsfraktion („Stärkung und Ausbau der Kindertagespflege im Neckar-Odenwald-Kreis“) basiert. Laut Landrat wurden etliche Kernforderungen des Landesverbands der Tageseltern-Vereine Baden-Württemberg umgesetzt wie die Angleichung der Elternbeiträge (Tagespflege/Tageseinrichtungen), die einkommensabhängige Abstufung der Beiträge nach sozialen Kriterien und zusätzlich die Erhöhung des Stundensatzes, die Entbürokratisierung der Abrechnung und die Umsetzung der besonderen Betreuungsmodelle TigeR und Pflegenest in einzelnen Landkreisgemeinden.