Gesichtsrekonstruktion eines 2000 Jahre alten Schädels

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Präsentation im Rahmen der aktuellen Sonderausstellung „Im Dienst des Kaisers. Mainz – Stadt der römischen Legionen“ im Landesmuseum Mainz.

Zum ersten Mal ist es Wissenschaftlern gelungen, einen rheinland-pfälzischen Schädelfund aus dem Jahr 10 v.Chr. am Computer virtuell nachzubilden und anschließend plastisch auszu-arbeiten. „Damit blicken wir wahrscheinlich einem Römer aus der Zeit um Christi Geburt erstmalig in die Augen“, so Kulturstaatssekretär Walter Schumacher bei der Präsentation der Gesichtsrekonstruktion, die nun im Rahmen der aktuellen Sonderausstellung „Im Dienst des Kaisers. Mainz – Stadt der römischen Legionen“ im Landesmuseum Mainz bis zum 5. Januar 2014 gezeigt wird. „Rheinland-Pfalz gehört zu den fundreichsten Regionen Deutschlands“, ergänzt Schumacher, „immer wieder fördern unsere Archäologen herausragende Funde aus allen Epochen insbesondere aus der Römerzeit zutage, dazu gehört auch die spektakuläre Schädeltrophäe von Andernach.“

Mit verblüffender Genauigkeit wurde nun innerhalb weniger Monate in Zusammenarbeit mit Experten der Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim und Prof. Dr. Ursula Wittwer-Backofen von der Universität Freiburg der 2000 Jahre alte Schädel aus augusteischer Zeit mit kriminaltech-nischen Mitteln aufgearbeitet und das Gesicht rekonstruiert. Dank neuester wissenschaftli-cher Erkenntnisse und mithilfe moderner 3-D-Drucker wurde einem schlichten Knochenfrag-ment ein Gesicht mit Hautkonturen und Haaransatz verliehen.

Den Schädel hat Landesarchäologe Dr. Dr. Axel von Berg im Jahr 2003 östlich von Andernach gefunden, typischerweise am Rhein, da hier die römische Reichsgrenze verlief. Axel von Berg wurde damals zu einer Notgrabung gerufen. Die Bagger standen schon bereit und wollten ihre Ausschachtungsarbeiten für die Erweiterung eines Industriegebietes fortsetzen: „Wir hatten wenig Zeit, fanden ein paar Keramiken, Gewandfibeln aus Bronze und eben diesen gut erhaltenen Schädel, der in einer keltischgermanischen Siedlung aufbewahrt wurde.“ 

Die Kelten hatten seinerzeit ihren Feinden die Köpfe abgeschlagen und als Trophäen in Truhen aufbewahrt oder mit Eisennägeln an die Wand gehängt. Der Andernacher Schädelfund, der ebenfalls ein Nagelloch im Hinterkopf aufweist, ließ sich relativ genau auf die Zeit 10 v.Chr. bis Christi Geburt datieren und steht damit im engen Kontext mit den Germanenfeldzüge der Römer, die genau in dieser Zeit vor allem in die rechtsrheinischen Stammesgebiete der Germanen vorstießen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gehört der Schädel demnach einem römischen Legionär aus Mainz, dem Ausgangspunkt der Feldzüge.

Maßgeblichen Anteil an der Rekonstruktion hat Prof. Ursula Wittwer-Backofen vom Institut für Humangenetik und Anthropologie. Die Biologin beschäftigt sich normalerweise an der Uni Freiburg mit der Abstammung, der Entwicklung und der Ausbreitung der Gattung Mensch. Doch immer häufiger sind ihre Auftraggeber das Bundeskriminalamt, diverse Staatsanwaltschaften rund um den Globus und eben auch Museen. Professor Wittwer-Backofen ist weltweit eine der wenigen Spezialisten, die in der Lage sind, aus ein paar Skelettteilen und Schädelknochen das Antlitz eines Toten zu rekonstruieren. So hilft sie nationalen und internationalen Behörden und Institutionen, wenn es darum geht, Verbrechen aufzuklären oder einem Museum, um einem unbekannten Schädelfund ein Gesicht zu geben. 

Ihre akribische Vorarbeit an der Trophäe von Andernach war die wesentliche Grundlage für die weiteren Ausarbeitungen der Experten an den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim. Nach den digitalen Daten aus Freiburg wurden neuste Techniken und modernste Arbeitsweisen im 3-D-Labor des Curt-Engelhorn-Zentrums für Archäometrie angewandt. Ausgangspunkt für die Gesichtsrekonstruktion sind Computertomographie- und 3D-Scann-Daten. Mit Hilfe dieser Daten können Schädelknochen gesondert definiert und segmentiert werden. 

Für die eigentliche Gesichtsrekonstruktion sind Form und Oberfläche der Schädelknochen ausschlaggebend. Auf definierte Punkte am Schädel, den sogenannten „landmarks“, wird die Stärke der Weichgewebe definiert. Sie kennzeichnen die Gesichtsoberfläche und variieren je nach Geschlecht, Alter und Ernährungszustand. Anhand der Morphologie des Schädels wird die Platzierung der Gesichtselemente, das heißt Augen, Nase, Mundspalte, Augenbrauen usw. festgelegt. Aus der Gesamtmenge der Daten wurde schließlich über die in Mannheim vorhan-dene 3D-Drucktechnik ein reales Objekt geschaffen.

Kulturstaatssekretär Walter Schumacher lobte ausdrücklich die kollegiale Zusammenarbeit, die zu diesem spektakulären Ergebnis geführt hat: „Schon seit Jahren arbeiten die Generaldi-rektion Kulturelles Erbe und die Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim äußerst kooperativ zusammen.“

Die komplette Schädelrekonstruktion, sowohl das mit einem Spezialgips nachgebaute Gesicht als auch die virtuellen Computerdaten, wird nun im Landesmuseum Mainz präsentiert und erweitert damit die Ausstellung „Im Dienst des Kaisers“, die vom Leben und Alltag römischer Legionäre aus Mainz erzählt. Über 250 Exponate veranschaulichen eindrucksvoll das römische Militärleben: Zahlreiche Waffen und Ausrüstungsgegenstände geben Auskunft darüber, mit welchen Mitteln die damals so gefürchteten römischen Truppen in den Kampf gezogen sind, Grabsteine von gefallenen Soldaten zeigen, dass in Mainz Truppen aus allen Teilen des Römi-schen Reiches stationiert waren. Dazu können nun die Besucherinnen und Besucher in der Präsentation „Das Gesicht des Legionärs? Rekonstruktion einer keltischen Schädeltrophäe“ auch einem Römer buchstäblich ins Gesicht blicken.

„Im Dienst des Kaisers“ ist ein gemeinsames Ausstellungsprojekt der Direktionen Landemuse-um Mainz, Rheinisches Landesmuseum Trier und der Landesarchäologie, die zusammen mit den Direktionen Landesdenkmalpflege und Burgen, Schlösser, Altertümer unter dem Dach der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) Rheinland-Pfalz zusammengefasst sind.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 5. Januar 2014 im Landesmuseum Mainz.