Enthüllung des Mahnmals für die Opfer der Zwangssterilisierungen in Mannheim

Enthüllung des Mahnmals

Vor rund 80 Jahren wurde in Mannheim auf der Grundlage des ersten NS-Rassegesetzes das sogenannte „Erbgesundheitsgericht“ am heutigen Standort des Amtsgerichts Mannheim eingerichtet. Das Erbgesundheitsgericht war für die Anordnung der Zwangssterilisierungen von über 1.000 Mannheimer Bürgerinnen und Bürgern maßgeblich verantwortlich.

Auf Initiative des „Arbeitskreises Justiz und Geschichte des Nationalsozialismus in Mannheim“ beschloss der Gemeinderat die Errichtung eines Mahnmals für die Opfer der Zwangssterilisierungen. Dieses Mahnmal wurde vom Künstler Michael Volkmer gestaltet und heute im Rahmen einer Gedenkveranstaltung am Amtsgericht enthüllt.
 
„Unsere Gesellschaft steht in der Pflicht, den letzten Zeitzeugen, ihren Angehörigen und ihren Anwälten Gehör zu schenken. Im Fokus unserer Wahrnehmung wie der historischen Forschung steht dabei bisher das entsetzliche Schicksal der europäischen Juden, der Sinti & Roma sowie die Euthanasie. Selten fanden bislang die Schicksale der Zwangssterilisierungen öffentliche Aufmerksamkeit. Ich danke deshalb dem Arbeitskreis Justiz, der sich seit über zwei Jahrzehnten der Aufarbeitung nationalsozialistischen Unrechts widmet und auf dessen Initiative das Mahnmal für die Opfer der Zwangssterilisation zurückgeht“, erklärt Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz bei der Enthüllung des Werkes.
 
Das Mahnmal mutet an wie ein großer Stapel aus 1000 zu einer homogenen und anonymen Masse verschmolzenen Würfeln. Jeder Würfel kann symbolisch für ein Einzelschicksal stehen bei dem alle Ecken und Kanten abgeschliffen sind; jedes "Anderssein" wurde so nivelliert. Die Farbe erinnert an Krankenhäuser und Amtsstuben; die glänzende Oberfläche wirkt kalt und zurückweisend. Der Betrachter spiegelt sich schemenhaft darin und wird somit selbst Teil des Mahnmals – vielleicht wäre auch er damals involviert gewesen. Sei es als Opfer oder als Täter – so beschreibt der Künstler Michael Volkmer das Werk.
 
Es wird keinen festen Standort haben, sondern im etwa jährlichen Wechsel bei den Institutionen aufgestellt werden, die an der Durchführung der Zwangssterilisierungen aktiv beteiligt waren, darunter das heutige Universitätsklinikum, das Diakoniekrankenhaus und der Fachbereich Gesundheit. Schülerinnen und Schüler haben die Gelegenheit, eine Patenschaft für dieses Mahnmal zu übernehmen und sich – begleitet von Lehrkräften – mit der Thematik auseinanderzusetzen. Am Freitag, 15. November, um 9 Uhr wird deshalb Bürgermeisterin Dr. Ulrike Freundlieb das Mahnmal im Amtsgericht den Schülerinnen und Schülern der Friedrich-List-Schule übergeben, die als erste Schule eine Patenschaft für das Mahnmal übernehmen wird.

Hintergrundinformationen:

Auf Initiative des „Arbeitskreises Justiz und Geschichte des Nationalsozialismus in Mann-heim“, einer Gruppe politisch engagierter Menschen, die auf lokaler Ebene zur Geschichte des Nationalsozialismus und zur Nachkriegsgeschichte in Mannheim recherchieren, beschloss der Gemeinderat 2012, dass ein Mahnmal an die Mannheimer Opfer erinnern soll. Unter Leitung des Stadtarchivs und moderiert vom Kulturamt wurde ein „Runder Tisch“ eingerichtet, an dem Vertreter des Amtsgerichtes, der Universitätsmedizin Mannheim, des Fachbereichs Bildung sowie des Arbeitskreises Justiz das Projekt gemeinsam begleiteten.

Das Mahnmal wird seine erste Station vor dem Amtsgericht haben, da dies der Ort war, an dem vor 80 Jahren das sogenannte „Erbgesundheitsgericht“ eingerichtet wurde. Das Erbgesundheitsgericht war damals aufgrund des ersten NS-Rassegesetzes, des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 für die Anordnung der Zwangssterilisierungen maßgeblich verantwortlich. Das Ziel, das mit dem Gesetz verfolgt wurde, war „Rassenhygiene“ – die „Reinerhaltung der arischen Rasse“. Die offiziellen Begründungen für die operativen Eingriffe reichten von Blindheit, Schwerhörigkeit, Epilepsie über Schizophrenie, Schwachsinn und Alkoholismus bis hin zur Etikettierung als „moralisch schwachsinnig“ und „asozial“. Für den reibungslosen Ablauf sorgten Ärzte, Richter, Mitarbeiter des Gesundheits- und Fürsorgeamtes sowie von Schulen und Behörden. In Mannheim wurden über 1.000 Menschen gegen ihren Willen unfruchtbar gemacht.

Die seelisch und körperlich verstümmelten Überlebenden der Zwangssterilisierungen wurden auch nach Ende der NS-Zeit keineswegs als Opfer anerkannt: Man hat sie bis 1980 aktiv und bewusst von jeglicher Wiedergutmachung ausgegrenzt. Die Urteile galten bis 1998 als rechtens. Die Täter wurden niemals zur Rechenschaft gezogen.